Nahendes Unheil
„Was … was ist das?“, frage ich, aufgeregt auf den Horizont deutend. „Sie sind gekommen.“, antwortet die wunderschöne, aber unnahbare Elfe neben mir. „Du meinst…“ Ich wage den Gedanken nicht zu Ende auszusprechen. Doch Alyxya nickt nur. „Ja, die Prophezeiung hat sich erfüllt.“ Schaudernd drängt es mich zu fragen: „Alyxya?“ „Hmm?“,macht sie in ihrer wortkargen Art. „Warum ist der Himmel dort so rot?“ „Es beginnt das große Blutvergießen.“ Nach einer Weile entlasse ich: „Alyxya?“ „Hmm?“ „Ich habe Angst.“ Mehr noch als das, denke ich bei mir, wage aber nicht, es zuzugeben. „Ich weiß.“, sagt sie nur. „Wann…“, frage ich mit brüchiger Stimme, „wann werden sie hier sein?“ Sie zögert einen Moment, bevor sie antwortet: „Bald. Wir haben noch maximal achtundvierzig Stunden.“ Ein langes Schweigen folgt, in dem wir gebannt beobachten, wie die todbringenden Flügel der sich nähernden Engelsschar alles niedermähen, was ihnen in den Weg kommt. Nur, um etwas zu sagen, meine ich irgendwann: „Alyxya?“ „Hmm?“ Die Elfe wirkt sehr nachdenklich. „Hast du daran geglaubt, dass sie kommen?“ Mit einem bitteren Lächeln gesteht sie: „Ich habe es stets befürchtet.“ „Das heißt …“, beginne ich leise und fahre fort, wobei ich die um sich züngelnden Flammen, welche die Engel entfachen keinen Moment aus den Augen lasse: „Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen … Opfer des ewigen Feuers zu werden …“ Mich fröstelt plötzlich, doch sie scheint das nicht zu bemerken, sondern bestätigt nur nüchtern: „Ja, Kaly, das müssen wir.“ Wieder folgt ein langes Schweigen. Als ich sie nachdenklich betrachte, für kurze Zeit von dem Geschehen vor mir abgelenkt, ob ihrer Schönheit, werde ich mit einem Mal der Tränen auf ihren Wangen gewahr. „Alyxya?“ „Hmm?“ „Du weinst ja.“ Sie seufzt. „Auch deine Tränen werden kommen. Früher oder später.“ Sie hat ja so recht. Doch ich bringe nur ein „Ja… wahrscheinlich…“ heraus. „Kaly?“, fragt sie aus heiterem Himmel. Ich zucke zusammen. „Ja?“ Ihr Ton ist sehr herrisch geworden, als sie fordert: „Erledige alles, was du noch zu erledigen hast, schiebe nichts auf! Verabschiede dich von all deinen Lieben!“ „Das werde ich.“, verspreche ich ohne den Blick dabei von ihr abzuwenden. „Sieh!“ Ich folge mit den Augen ihrer ausgestreckten Hand. „Es kommt näher, dieses apokalyptische Rot.“ stelle ich zitternd fest. „Ja.“ Jede Minute kann es zu spät sein, daher traue ich mich nun die eine Frage zu stellen, die mir schon so lange auf der Seele brennt: „Alyxya?“ „Hmm?“ „Darf ich deine Hand halten?“ Lächelnd antwortet sie: „Ja, das darfst du.“ Schüchtern ergreife ich ihr filigranes Elfenhändchen, so behutsam, als könne ich es jederzeit zerbrechen. „Weißt du was, Alyxya?“ „Hmm?“ „Das ist ein schönes Gefühl. Ein Gefühl von Hoffnung in der dunkelsten aller Stunden…“ Zu meiner vollkommenen Überraschung meint sie nun: „Ja… ich weiß.“ Da platzt es aus mir heraus: „Ich liebe dich.“ „Ich dich auch.“, sagt sie und lächelt mich an. Verwirrt stotternd frage ich sie, nur um das Thema zu wechseln: „Hast du je einen gesehen?“ „Was?“ Offenbar habe ich es geschafft, sie zu verwirren, daher erkläre ich: „Einen von ihnen?“ „Einen Racheengel? Glaub mir, wenn, dann wäre ich schon tot.“ Ich nicke nur, und murmle dann vor mich hin: „Ich frage mich, ob sie wohl schön sind.“ Seufzend meint die Elfe: „Ich denke, das sind sie, ja.“ „Warum nur tun sie dann so etwas Böses?“ Alyxya sieht mich fest an und antwortet: „Weil es in ihren Augen das Richtige ist…“ „Alyxya?“ „Hmm?“ „Weißt du, was in meinen Augen das Richtige ist? Du!“ Lächelnd haucht sie: „Danke.“ Ich deute auf den aufgehenden Abendstern. „Die Nacht kommt.“ „Willst du nach Hause gehen, Kaly?“ Ich schüttele vehement den Kopf. „Nein. Ich möchte hier stehenbleiben. Genau hier. Und mit dir zusammen mein Ende erwarten.“ Erstaunlich gefasst entlässt sie: „Dann sei es so.“ Als der Mond sich über den Horizont erhebt, rufe ich in plötzlicher alles lähmender Panik aus: „Sie doch! Der Mond! Er ist blutrot!“ „Ja… ich weiß.“, sagt sie fast unhörbar. Aber, das bedeutet … „Alyxya?“ „Hmm?“ „Wir haben keine achtundvierzig Stunden mehr, richtig?“ „Hmm.“ macht sie nur. Ich schreie mehr, als dass ich frage: „Sie werden gleich hier sein, richtig?“ „Ja…“ „Alyxya!“, brülle ich, während mir die Tränen in die Augen schießen. „Ja?“, fragt sie nur. „Ich habe Angst!“ Mehr noch. So viel mehr. „Ich weiß.“, sagt sie – ob auch sie Furcht empfindet? „Meinst du …“, frage ich langsam, um eine ruhige Atmung bemüht, „Meinst du, es ist schlimm?“ „Was?“, will sie wissen. Mit Mühe bringe ich das eine, alles entscheidende Wort über die Lippen: „Sterben.“ Sie überlegt kurz, doch dann verstärkt sie den Druck auf meine Hand und sagt tapfer: „Nein. Nein, ich glaube nicht. Denn du bist ja bei mir.“ Ich ringe mir ein Lächeln ab, bevor ich meinem Blick wieder dem aktuellen Geschehen zuwende, den sirrenden Flügeln der Racheengel, die immer lauter werden. „Sie doch! Da! Ich kann sie schon erkennen!“, schreie ich „Ja…“, sagt sie leise, „Sie kommen.“ „Ja“, bestätige ich mit der plötzlichen Ruhe eines Menschen, der sein grausames Schicksal akzeptiert hat, „Sie sind hier.“
Chrissy Lazemare 07/13
_________________ To a place, where no words have gone before...
Zuletzt geändert von Lazemare am Mo 8. Jul 2013, 15:15, insgesamt 2-mal geändert.
|