Anstatt unseres üblichen Making of’s möchten wir Ihnen hier den Ausschnitt eines Beitrags aus der Cthulhu Libria vorstellen.
Erik Hantsch schreibt:
Die zwölf Geschichten des Bandes scheinen ganz im Zeichen der Weird Fiction zu stehen, die der Autor selbst auch so sehr liebt. Gleich zu Beginn kann man lesen, wie Schenkel seinen Vorbildern Dank ausspricht, darunter Eddie M. Angerhuber, Michael Siefener oder dem polnischen Künstler und Autor Bruno Schulz.
»Eddie M. Angerhubers Einfluss auf mich kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden«, verrät der Autor. »Sie war es, die mich mit den Werken Thomas Ligottis bekannt gemacht hat, da sie ja längere Zeit seine deutsche Übersetzerin war. Auch ihre eigenen Storys haben mich damals schwer beeindruckt und tun es immer noch. Ohne Eddie wäre ich wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, selbst Weird Fiction zu schreiben. Es ist sehr schade, dass es um sie als Autorin in letzter Zeit so still geworden ist und nicht nur ich würde mich über ihre Rückkehr zur Literatur freuen. Von Bruno Schulz erfuhr ich erstmals, als Thomas Ligotti diesen in Deutschland doch eher unbekannten Schriftsteller in einem Interview erwähnte. Neugierig wie ich bin, besorgte ich mir Bruno Schulz‘ Sammelband Die Zimtläden und war davon fasziniert. Schulz schrieb keine Unheimliche Phantastik, sondern ist eher dem Expressionismus zuzurechnen, trotzdem verströmen seine Texte eine Aura des Absurden und des Fremden, der sich der Leser nicht entziehen kann.«
Auch der Inhalt von Die Muerenberg Chroniken mag teilweise absurd wirken, vor allem aber unheimlich. In Was uns erwartet, wohl auch der passende Einstieg in das Buch, wird die Lebensgefährtin des Protagonisten, mit Namen Adela, bestialisch ermordet. Während die Polizei nach dem Mörder fahndet, erhält der Protagonist ein Telefonat. Am anderen Ende ist die eigentlich tote Adela. Die Suche nach seiner Frau führt ihn schließlich ins Verderben bzw. in das nebelverhangene Muerenberg.
Was uns erwartet funktioniert als Intro wahrlich perfekt. Auf der Suche nach der Wahrheit wird der namenlose Protagonist schier wahnsinnig, da er immer wieder Anrufe seiner verstorbenen Frau erhält, von der Polizei, nachdem diese das Telefon untersucht hat, aber Bescheid bekommt, niemand hätte es in den letzten Stunden angerufen. Diese psychologische Komponente ist – wenn auch in ihrer Ausformung nicht neu – durchaus reizvoll und schafft die – sicherlich angestrebte – bedrückende Atmosphäre. Außerdem werden weiterhin zwei Figuren vorgestellt, die auch in den anderen Geschichten des Bandes immer mal wieder auftauchen.
Den Schleier durchbrechen. Der Doktor bewegte den Mund nicht und doch hörte ich seine Stimme. Was dich erwartet. Was euch alle eines Tages erwartet. Dem Vergessen gegenübertreten, dem absoluten Nichts. (S. 20, Was uns erwartet)
Was dem Leser auf jeden Fall erwartet, sind nicht selten Texte, deren Inhalte sich um ein zentrales Thema zu drehen scheinen: die Auslöschung des Menschen oder seiner Individualität. In Eine Insel im Nichts versucht der Protagonist einen Plan von Muerenberg zu erstellen. Doch statt dass es ihm gelingt, geschehen plötzlich unvorstellbare Dinge. Von einem aufs andere Mal wird er verfolgt, gerät in ein Bergwerk, trifft dort seinen Doppelgänger, wohnt einem blasphemischen Ritual bei und muss am Ende seiner Reise erkennen, dass er als lebender Mensch schon lange nicht mehr existiert.
Der Leser wird im Text einige Anleihen an Lovecrafts The Outsider feststellen, manche Geschehnisse erscheinen dabei zu verklausuliert und nicht immer ist ersichtlich, worauf der Autor hinaus will. Das Ende ist dann aber wieder eindeutig. Auch Das Haus gegenüber verströmt das Fluidum des Labyrinthischen. Darin ist der Protagonist von seinem Nachbarhaus besessen, in dem er glaubt, jemand wohne darin, obwohl es leersteht. Die Neugier lässt ihm keine Ruhe. Eine schreckliche Erkenntnis wird dem Protagonisten zuteil, die gleichzeitig auf den Leser überspringt, der sich nach der Lektüre mehr als beunruhigt fühlen dürfte.
In Traktat über die Leere wird der Verkäufer Bruno von einer Puppe, einem Mannequin, verfolgt und sollte wohl seine eigene Existenz noch einmal überdenken. Diese Überlegung macht am Ende der Story aber eher der Leser – und dürfte dabei einen Schweißausbruch der Angst erleiden. Und auch in In uns die Nacht, in der der Protagonist nach einer Odyssee von unheimlichen, beklemmenden Ereignissen feststellen muss, wie es um die eigene Existenz bestellt ist, trifft eine Aussage der puren Verneinung.
»Es geht nicht so sehr um die Auslöschung der Individualität, sondern um die Erkenntnis des Protagonisten, dass er nie so etwas wie ein Selbst oder eine Persönlichkeit besaß«, erzählt Daniel Schenkel dazu. »Die Idee des Selbst als Illusion ist eine These, die schon seit geraumer Zeit unter anderem durch die moderne Hirnforschung geistert. Der Philosoph Thomas Metzinger hat diese Ansicht z. B. zu einer Habilitationsthese in seiner Arbeit Being No One (Cambridge 2003) gemacht. Literarisch fand ich es sehr interessant zu schildern, dass das Individuum erkennt, dass es eigentlich nicht als Ding an sich existiert und all seine Bemühungen und Ambitionen folglich nutzlos sind. Meiner Meinung nach sind die moderne Philosophie und auch die Neurowissenschaften für den Bereich der Weird Fiction wesentlich ertragreicher als der sogenannte Okkultismus.«
»Ich bin nicht dein Geschöpf«, zischte er. »Hast du vielleicht einmal daran gedacht, dass es umgekehrt sein könnte? Dass nicht du mich erträumt hast, sondern ich dich? Ist dir das jemals in dein beschränktes Affenhirn gekommen?« (S. 230, Die Muerenberg Chroniken)
In den Storys Die Schrift auf dem Stein, Koloss, Ohne Namen, Das Herz einer Stadt, Das Sternenkind und Die Muerenberg Chroniken mischen sich dann noch lovecraftsche Motive, sei es in Ohne Namen, in dem der Protagonist ein Erbe antritt, ohne zu wissen, dass er sein Leben im Grunde verwirkt hat und in dem Daniel Schenkel sehr auf Lovecrafts The Case of Charles Dexter Ward und The Thing on the Doorstep anspielt. Oder in Koloss, wo der Protagonist unwillentlich in einem wohl somnabulen Zustand eine riesige Statue erschafft, die eine blasphemische Figur darstellt. In Das Sternenkind wird der Protagonist sogar einer wahrhaftigen lovecraftschen Monstrosität ansichtig: »Die Kreatur war gigantisch. Größer als hundert zusammengeballte Sonnen, eine titanische Anhäufung zuckenden Fleisches, schnappender Mäuler und Milliarden pupillenloser Augen. […]«
Gerade solche Beschreibungen, aus dem Dunst der Umschreibung geholt, stellen immer eine Gratwanderung dar. Auch hier ist es zu viel des Guten, wenn der Autor das Monströse zu sehr herausarbeitet, anstatt nur zu skizzieren und den Rest der Phantasie des Lesers zu überlassen. Es ist auch gleichzeitig ein Vorgehen, dass immer die Gefahr birgt, als bloßer Epigone Lovecrafts verkannt zu werden.
»Dieser Gedanke ist mir bis jetzt ehrlich gesagt noch gar nicht gekommen. Außerdem orientieren sich nur zwei Episoden der Chroniken direkt an Lovecraft, nämlich Eine Insel im Nichts und Ohne Namen«, meint Daniel Schenkel. Die erste Episode ist eine Reminiszenz an Lovecrafts The Outsider die zweite an The Case of Charles Dexter Ward, beide Storys haben mich stets sehr beeindruckt und wohl auch als Schriftsteller geprägt. Alles andere in den Chroniken bezieht seine Einflüsse sehr stark von Schulz (Traktat über die Leere), Angerhuber, Siefener und natürlich Ligottis Conspiracy Against the Human Race, das wie eine schwarze Wolke über allem zu schweben scheint.«
Um durch seine Texte den Leser zu verunsichern, ihn an der Wirklichkeit zweifeln zu lassen, bedient sich Daniel Schenkel nicht selten einem Vorgehen, das auf den ersten Blick verwirrend wirkt, und dem Leser den Eindruck vermittelt, sie würde ins Nichts laufen. Dazwischen werden Szenen gestreut, die – auch beim zweiten oder dritten Mal Nachlesen – sinnleer erscheinen. Durch dieses Vorgehen, den Gedanken des Nihilismus in Reinstform zu frönen, dürfte sich die Leserschaft von Die Muerenberg Chroniken zwangsläufig in zwei Lager spalten. Jedem der beiden Parts wird kaum die Intention des Autors verborgen bleiben, allein seine erzählerische Art und Weise wird dafür sorgen, dass die einen ihn beglückwünschen, die anderen ablehnen werden. Der Band verkörpert aufs Beste das Love-it-or-hate-it-Prinzip.
Die Anleihen an Lovecraft, Ligotti und Angerhuber sind nicht selten deutlich, verbreiten aber durchaus eine gewisse Eigenständigkeit. Dennoch sollte Schenkel noch mehr an seiner eigenen Stimme arbeiten. Für ein Debüt lesen sich Die Muerenberg Chroniken aber angenehm unangenehm. Dass der Autor dabei auch seinen Vorbildern die ein oder andere Hommage erweist, ist durchaus legitim. Nur in der Geschichte Die Muerenberg Chroniken übertreibt er es ein bisschen, indem er diese noch einmal aufzählen muss. Dagegen gewisse Parallelen zu den Werken der genannten Autoren herauszufinden ist wieder ein spannendes Unterfangen. So wirkt Muerenberg fast wie eine Geschwisterstadt von Ligottis bizarrer Metropole in In a Foreign Town, in a Foreign Land (Festa Verlag). Das hat was, obwohl Daniel Schenkel meint: »Muerenberg basiert nicht auf dem genannten Band, sondern den Namen habe ich aus einer anderen Geschichte Ligottis paraphrasiert, und zwar aus The Mystics of Muelenburg. Ganz besonders wichtig für mich ist aber Ligottis The Conspiracy Against the Human Race (New York 2010). Das Buch ist eine literaturphilosophische Abhandlung, in der Ligotti eine Verbindung zwischen pessimistischer Philosophie wie Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung, moderner Hirnforschung und Weird Fiction herstellt. Philosophen wie den oben genannten Metzinger habe ich auch durch CATHR kennengelernt. Ligottis Buch wird noch ergiebiger, wenn man sich die Mühe macht, den ausführlich genannten Quellen zu folgen, was ich auch getan habe. CATHR liegt bis jetzt leider nur auf Englisch vor, aber meines Wissens nach ist eine deutsche Übersetzung geplant.«
Die Muerenberg Chroniken ist auf jeden Fall etwas für Freunde der bizarren und grotesken Fantastik, und die es lieben sich dem Unheimlichen und durchaus Kosmischen in die Arme zu werfen. Genauso wie Muerenberg die Leute anzieht und doch ob seiner Fremdartigkeit abstößt, wird es auch den Leser gehen: die einen werden sich mit Lust in den gelben Nebel der verkommenen Stadt stürzen, die anderen versuchen, so schnell wie möglich daraus zu entkommen.
Vielen Dank an Eric Hantsch Dieter König Verleger, Coach, Lektor, Autor .