„Wohin du gehen wirst. Eine Familiengeschichte.“
Jeder Schriftsteller befindet sich auf ständiger Suche nach einer geeigneten Thematik.
Krimi und Fantasy liefern Spannung, ohne dass der Leser geistig sehr gefordert wird. Historische Romane verlangen ihm wesentlich mehr ab: Er muss sich für Zeitgeschichte zumindest interessieren. Zwischen Historischem und Biografischem angesiedelt ist der Familienroman. In ihm gehen Wissenswertes, Spannendes, Tragikomisches, Kriminelles, Heiteres und Trauriges eine vielfältige Verbindung ein. Wer sich an dieses Thema heranwagt, vor dem liegt buchstäblich ein ausgedehntes Gräberfeld!
Das Freilegen der ’Schätze’ beginnt bei den Erzählungen der Eltern und Großeltern über längst verstorbene Familienmitglieder und setzt sich fort im Stöbern in Kirchenbüchern, Archiven und – nicht zu unterschätzen – im Sammeln geschichtlicher Informationen mittels Internet. Es dauert, ehe die Vorbereitungen für eine Geschichte so weit gediehen sind …
Im vorliegenden Fall lief es so:
An erster Stelle stand ebenfalls das bereits erwähnte Gräberfeld. Ich erstellte nämlich – in meiner Eigenschaft als selbst ernannter Hobby-Historiker – im Verlauf von sechs Jahren nicht weniger als vier Familienchroniken.
Bleibt man beim Bild der Gräber, dann wühlte ich eine Menge Staub auf und förderte allerhand zutage – Bekanntes und sorgsam Verborgenes. Letzteres mit besonderem Vergnügen meinerseits, versteht sich! Und bei einer der ’Grabungen’ wurde mir unversehens klar, dass das As einer gewissen Familie eine von jeder höheren Bildung weit entfernte Tante war, in deren Existenz das kollektive Gedächtnis der Verwandtschaft zu deren Lebzeiten und auch nach deren Tod bei Weitem nichts Besonderes sah.
Aus dieser Erkenntnis heraus entstand der Roman: Wohin du gehen wirst.
Beim Schreiben und Beschreiben besaß ich einen unschätzbaren Vorteil: Alle, deren Leben ich vor der Öffentlichkeit ausbreiten würde, waren tot! Sie meinen, das klinge makaber?
Mag sein! Aber Tote haben die Querelen des guten oder schlechten Rufes hinter sich und scheren sich nicht darum, was und wie die Nachwelt über sie denkt.
Lebende Familienmitglieder – die (notgedrungen) gegen Ende des Romans eine Rolle spielen – kommen selbstverständlich gut weg und sei es nur, weil sie sich während dieser Zeit (zufällig) vorbildlich verhielten.
Kernfrage also: Was ist (in diesem Roman) Wahrheit?
Der Hauptstrang der Handlung wurzelt um 1900 im Zeitz-Weißenfelser Braunkohlenrevier, in den Dörfern Naundorf, Nonnewitz und in der Universitätsstadt Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). Geschichtlicher Hintergrund sind das Deutsche Kaiserreich, der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Zweite Weltkrieg und die Zeit der Deutschen Demokratischen Republik – fast 90 Jahre Zeitgeschichte. Dem Internet sei an dieser Stelle gedankt: Es half meinen im Detail mitunter verschütteten historischen Kenntnissen wieder auf die Beine!
Der Schwerpunkt der Erzählung über Else Stehauf und Alfred Kluge (Nachnamen durch mich den Protagonisten mit Augenzwinkern angelastet) liegt selbstverständlich nicht bei politischen Fakten. Die liefern nur eine Bühne, auf der eine Beziehung dargestellt wird, die so ungewöhnlich ist, dass sie – selbst auf den zweiten Blick – erfunden scheint. Ist sie aber nicht!
Der Titel „Wohin du gehen wirst“ ist einem alten Kirchenlied entlehnt, das – so habe ich mir sagen lassen – noch heute gern bei kirchlichen Trauungen und Beerdigungen gespielt oder gesungen wird:
So nimm denn meine Hände und führe mich,
bis an mein selig’ Ende und ewiglich.
Ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt;
wo du wirst geh’n und stehen, da nimm mich mit.
Dieser Bitte kommt im Roman ein ganz besonderes Gewicht zu: Für den schwachen Partner einer nicht alltäglichen Ehe ist sie Hilferuf, für den starken eine Verpflichtung: ’Bis dass der Tod scheidet’.
Was ist in diesem Familienroman Dichtung?
Alles, was zwischen den Wahrheiten liegt – denn nicht alle ’Grabungsergebnisse’ waren gesicherter Natur. Selbst die Protagonistin Else pflegte zu Lebzeiten der einen oder anderen Geschichte eines Familienmitgliedes mitunter – und für den aufmerksamen Zuhörer unverkennbar – kleine Schnörkel anzuhängen.
Erwies sich im Nachhinein ein solcher ’Ausschmücker’ als brauchbar, übernahm ich ihn, denn man weiß ja: In jeder Legende steckt auch ein Körnchen Wahrheit.
Blieben noch die berühmt-berüchtigten weißen Flecke – das nicht mehr Abrufbare und eben auch das Verschwiegene. Da durfte ich mich nun ’austoben’, doch ich blieb immer in den Grenzen des aus meiner Sicht Wahrscheinlichen. Und weil mir bislang keiner der Verstorbenen nachts als drohender Geist erschienen ist, nehme ich an, dass kein Grund zur Beschwerde vorliegt.
So also entstand eine Lebensgeschichte, die in der Kaiserzeit beginnt und in den Zeiten eines sozialistischen Regimes ihren Abschluss findet. In wenigen Sätzen zusammengefasst:
Wenn man das Leben mit einem Wettlauf gleichsetzt, dann erreicht Else als Letzte das Ziel. Sie hat einen schlechten Start, ihre Bahn ist voller Stolpersteine und auf ihren Schultern lastet ein Gewicht, das sie abwerfen müsste, um voranzukommen. Das Gewicht heißt Alfred – von der Natur mit Einfalt gestraft oder gesegnet, wer will das entscheiden?
Else jedenfalls stellt solche Überlegungen nicht an. Sie weiß: Das Leben ist eben keine Rennbahn mit Platz und Sieg, sondern ein aufhaltsamer Dauerlauf. Und auf manchem Stolperstein des Weges wächst auch ein bisschen Moos, auf dem sie rasten kann – trotz oder gemeinsam mit Alfred.
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