Ein Morgen, wie er jeden Tag auf die knapp Fünfzigjährige wartete:
Erbarmungsloses Schnarren des Weckers um vier Uhr früh. Während sich ihr Angetrauter noch einmal zur Seite rollte und laut schnarchte, musste sie müde aus dem gemütlichen Bett kriechen. Ihre Aufgabe war es, das Frühstück zuzubereiten und eine deftige Brotzeit für die Arbeit herzurichten, die der Mann mitnehmen konnte. Danach würde sie ihn wecken, die Sprüche über den zu heißen Kaffee und das zu weichgekochte Ei über sich ergehen lassen.
Hatte ‚er‘ dann das Haus verlassen, würde sie putzen, waschen, bügeln und das Essen für den Abend vorbereiten. Gegen achtzehn Uhr hatte sie hübsch und adrett auszusehen, um ‚ihn‘ freudig zu begrüßen. Noch vor dem Essen würde er sie in das gemeinsame Schlafzimmer drängen und seine ehelichen Rechte einfordern.
Seit beinahe dreißig Jahren dasselbe Spiel. Anfangs war alles eine Geste der Liebe. Jetzt nur mehr reine Gewohnheit, die sich nicht mehr ändern ließ. Jeglicher Versuch, den Mann zu überzeugen, dass auch er selbst sich ‚versorgen‘ könnte, scheiterten. Er nannte es ‚Gewohnheitsrecht‘ … ob es diesen Ausdruck in einer Partnerschaft wirklich gab?
Gutgemeinte Ratschläge von Freunden und auch den mittlerweile erwachsenen Kindern, sich doch von dem Despoten zu trennen, belächelte die Frau und meinte beschwichtigend:
„Er wird sich schon noch ändern. Wenn nicht heute, dann morgen.“
Mit beinahe gleichgültiger Miene ertrug sie die Schimpftirade ihres Mannes. „Der Kaffee ist schon wieder viel zu heiß. Ich habe mir die Zunge verbrannt. Außerdem ist er bitter wie Galle.“
Sie zuckte mit den Schultern. Mit den Fingern tastete sie nach dem kleinen Fläschchen in der Tasche ihres Bademantels. Schweigend stand sie neben dem Küchentisch und dachte bei sich: „Er wird schon noch sterben. Wenn nicht heute, dann morgen.“
Renate Zawrel ist nicht nur erfolgreiche Autorin, sie ist auch Herausgeberin und Coach für die Bereiche Krimi und Märchen. Neben ihren Hauptaufgaben hilft sie hoffnungsvollen Autoren dabei, ihre Ziele zu erreichen.