Making-of zur Krimi-Anthologie „Lachender Tod“
„Spannung ist Kaugummi fürs Gehirn.“
Alfred Hitchcock
Wenn für einen Krimi nur ein paar Seiten zur Verfügung stehen, sprechen wir von einem Kurzkrimi. Bisweilen ist der Ich-Erzähler Täter, hin und wieder Opfer. Ein Mord wird minutiös geplant oder das Verbrechen geschieht spontan. Mittels Revolver, Messer, von vorn oder subtil aus dem Hinterhalt. Manchmal wird nicht die Physis ermordet, sondern die Seele.
Und sehr viele werden für ihre Untaten nicht bestraft.
Schandtaten hatten schon immer Bedeutung in Literatur und Film. Und wenn man sich die jüngsten Bestsellerlisten ansieht, feiert das Verbrechen Konjunktur.
„Es ist der Kriminalroman gewesen, der schließlich zur
Geburt einer neuen und eigentlichen Romanform geführt hat.
Schon seine Initialzündungen durch Poe und Dostojewski
waren ja hochliterarisch …“
Alfred Andersch
Zur Kurzgeschichten-Ausschreibung „Böse Clowns“ wurden so viele gute Geschichten eingereicht, dass sich Sarturia zu einem Nachfolgeband entschlossen hat. Der diesmal unter dem Genre „Krimi“ herauskommt.
Denn unsere Clowns sind nicht lustig. Überhaupt nicht! Sie sind Täter und sie sind Opfer. Manchmal tritt einer nicht in der typischen Maskierung auf, sondern als Charakterzug: er verhält sich wie ein „Kasperl“. Wie ein krimineller Kasperl.
Ein Clown darf auch außerhalb des Zirkus seine Späße treiben, ohne dass jemand Böses dabei denkt: sei es als Klinik-Clown, im Fasching, bei Kindergeburtstagen.
Unsere Clowns hier treten zum Teil auch im Zirkus auf, zur Bespaßung von Touristen oder Kranken – aber sie besitzen eine hohe kriminelle Energie, sind fies, gemein und bösartig. Keine tollpatschigen Wesen, keine verschmitzten Charaktere, die einen zum Lachen bringen wollen.
Durch ihre „Verkleidung“ erhalten die Verbrechen, die sie verüben, einen zusätzlichen Charakter: etwas Unheilbringendes, Unkonkretes; etwas, das sich schwer greifen lässt.
Und was sagt Patricia Highsmith dazu, die Meisterin der Suspense-Story?
„Mich haben immer nur die kriminellen Anlagen und Möglichkeiten des Normalmenschen beschäftigt, dabei ist mir die Aufklärung eines Mordfalls völlig gleichgültig. Gibt es etwas Langweiligeres und Gekünstelteres als Gerechtigkeit? Weder das Leben noch die Natur scheren sich einen Deut darum, ob einem Geschöpf Gerechtigkeit widerfährt. Ich erfinde Geschichten, und mein Ziel ist es nicht, den Leser moralisch aufzurüsten, ich will ihn unterhalten. Leute ohne Moral, wenn es nicht sture, brutale Charaktere sind, amüsieren mich. Sie haben Phantasie, geistige Beweglichkeit und sind dramatisch nahrhaft.“
Patricia Highsmith; zitiert aus: Franz Cavigelli/Fritz Senn, Über Patricia Highsmith
„Unsere“ Protagonisten hier in dieser Anthologie nehmen es ebenfalls nicht so genau mit der Moral – also hätte Patricia Highsmith ihre Freude damit gehabt. Auch Phantasiemangel oder Unbeweglichkeit kann man ihnen nicht nachsagen.
Sie agieren hinter der Clownsmaske im Verborgenen, wollen nicht erkannt werden. Lösen blankes Entsetzen aus, manipulieren und üben Rache. Sind voller Wut oder Gier und erheben sich über die vorherrschenden, gesellschaftlichen Normen. Manche hören Stimmen, die ihnen etwas einflüstern.
Andreas Krohberger, Autor von „Der Giftzwerg“ sagt:
„Alle Geschichten haben Wurzeln in der eigenen Geschichte. Diese Wurzeln, von denen es in jeder Erzählung unzählige gibt, sind im Allgemeinen zu dünn, um die Handlung ‚autobiographisch‘ nennen zu können. Doch alles, was irgendwo auf der Welt oder uns selbst geschieht, und alles, was uns Autoren in irgendeiner Weise berührt, kommt in den großen Topf, in dem unsere literarische Suppe vor sich hin köchelt. Das können große Ereignisse der Weltgeschichte sein, oder auch nur ein einziges, verwirrendes Wort, das der Nachbar uns im Vorübergehen zuwirft. Wenn dann die Suppe gut gewürzt ist und dem Autor schmeckt, fährt er mit seiner literarischen Kelle hinein. Der Leser muss die Geschichte dann auslöffeln. Selber schuld!“
Die Autoren und Autorinnen, die in der Anthologie „Lachender Tod“ schreiben, sind tief in diesen Suppentopf eingetaucht.
Es gibt ein paar starke Motive, um jemandem Böses anzutun:
Rache. Gier. Leidenschaft. Eifersucht. Krankheit. Macht.
Rache – sei es aus Eifersucht oder weil sich jemand schon zu lange unterdrückt oder ungerecht behandelt fühlt – da genügt dann der legendäre Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Gier – Abbé Ferdinando Galiani, italienischer Schriftsteller aus dem 18. Jhdt. sagte: „Furcht und Gier sind die Ursachen der Grausamkeit.“ Da können wir ihm wohl recht geben.
Macht – andere manipulieren, unterdrücken, in eine Opferrolle drängen.
Geisteskrankheiten.
Sehr oft ist es eine Mischung aus mehreren dieser Motive.
John Wayne Gacy, 1942-1994, war bekannt als Killer-Clown. Ein US-amerikanischer Serienmörder, der für die Vergewaltigung und Tötung von 33 Jungen und jungen Männern verurteilt worden ist. Ein Krimineller, der leichtes Spiel hatte, weil er im selbstgenähten Clownskostüm Straßenfeste besuchte und als Pogo der Clown Kinder unterhielt. Er erhielt 21 Mal lebenslänglich und 12 Mal die Todesstrafe und schaffte es damit ins Guinness-Buch der Rekorde.
Im Alter von 24 Jahren begann Gacy als Manager in einem Kentucky-Fried-Chicken-Restaurant seines Schwiegervaters zu arbeiten. Er wurde des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen angeklagt und verurteilt, seine Frau ließ sich scheiden, er wurde erneut straffällig, heiratete wieder, wurde anerkannter Geschäftsmann, war immer wieder auf der Suche nach Opfern, die er später ermordete.
Aufgrund seines gesellschaftlichen Engagements lernte er auch Rosalynn Carter, die Frau des US-Präsidenten kennen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Großteil seiner Taten bereits verübt.
Um Rache – und was passieren muss, damit solche Gelüste entstehen können – geht es in „Das Grinsen“ von Neelam Kaur.
John Peyton ist ein unlustiger Clown, der auf dem Jahrmarkt Bonbons verteilt.
Er wird, genauso wie Gacy, vom Vater misshandelt. Die Mutter hat ihm immer, wenn er ihrer Meinung nach etwas falsch gemacht hat, Kreuzmuster in den Arm geritzt. Irgendwann, als Teenager, hat er sie lebendig begraben. Und jeder im Ort weiß es …
John Peyton wird gemobbt. Der Schlimmste von allen ist Jackson.
Ein John-Wayne-Gacy-Verschnitt? Sein Vorbild …?
„Worte sind geladene Pistolen.“
Jean-Paul Sartre
Das Rachemotiv finden wir auch in „Unhappy Meal“ von Rafael Alberto Garciolo.
Auch an dieser Geschichte ist John Wayne Gacy nicht ganz unschuldig.
„‘Unhappy Meal‘ basiert auf einer Idee zu einem Kurzfilm, der jedoch nie realisiert wurde“, so der Autor:
„Der Titel verweist dabei natürlich auf jenen weltbekannten Fast-Food-Konzern, dessen Werbefigur – ein Clown – mich bereits als Kind das Fürchten lehrte. Daher schien mir die Anthologie ‚Lachender Tod‘ eine perfekte Plattform, um dieses frühe ‚Trauma‘ nun mit einer schriftlichen Aufarbeitung zu würdigen.
Die Idee dabei war, einen gescheiterten Werbeclown blutige Rache nehmen zu lassen für das gestiegene Ernährungsbewusstsein der Gegenwart. Für den Verlust seiner Existenz macht er den Aufstieg von Vegetarismus und Veganismus verantwortlich.
Klar stand für diese Figur vor allem der Serienmörder John Wayne Gacy Pate, auch wenn natürlich Pennywise, der Clown aus Stephen Kings Es, als großes Vorbild nie ganz wegzudenken ist.
Eine Message oder tieferen Sinn hatte ich dabei nicht vor Augen. Unhappy Meal ist vorrangig gedacht als geradlinige kleine Geschichte mit makaberer Pointe, die hoffentlich eher für Vergnügen als für einen erhöhten Cholesterinspiegel sorgt.“
Dass es auch sympathische Mörder geben kann, beweist Barbara Scherer in ihrer Geschichte „Die Blütenprinzessin“.
Der Clown, Angestellter eines Vergnügungsparks, hasst seine weiße Schminke, mag aber an sich seinen Beruf.
Auszug: „Ich will schon frustriert aufgeben, als ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, mit ihrer Mutter im Schlepptau und einem strahlenden Gesicht auf mich zukommt. Etwa einen Meter entfernt bleibt sie stehen, schaut mich an, tritt von einem Fuß auf den anderen. Das kenne ich gut, wenn Kinder etwas wollen, sich aber nicht trauen.“
Klaus Werner-Lobo, Autor und Clown: „Es liegt eine unglaubliche
Befreiung darin, genau für die Dinge, die ich ansonsten immer
zu verstecken versucht habe, von anderen geliebt zu werden –
also für alles, was peinlich ist, wovor ich mich fürchte, für alles,
von dem ich glaube, dass ich soziale Anerkennung verliere …
In einem Clown-Workshop lernen wir, mit den anderen Teilnehmern in
Beziehung zu treten, indem wir ehrlich zu uns selbst und anderen sind …
Im Laufe von ein oder zwei Tagen lassen die Menschen ihre Masken fallen.
Die rote Nase – die Clownsmaske – ist die kleinste Maske der Welt;
die nichts versteckt, sondern alles zeigt.“
Klaus Werner-Lobo: Frei und gefährlich. Die Macht der Narren. Benenvento Vlg., 2016
Der Psychothriller „Clown“ von Jon Watts aus dem Jahr 2014 handelt von der Metamorphose eines fürsorglichen Familienvaters zu einem mordhungrigen Dämon in Clownsform: Er erwirbt ein Clownskostüm, um auf der Geburtstagsparty seines Sohnes den Dumbo zu spielen. Doch er bringt das Kostüm nicht mehr von seinem Körper. Festgeklebt. Auch die Perücke.
Es stellt sich heraus: Es ist die Haut eines Dämons.
Der Film wurde von Max Link im Horrormagazin Virus betitelt als „guter Psychothriller mit okkultem Einschlag, der der Clown-Thematik jeden Humor nimmt und durch viel kalte Angst und etwas warmes Blut ersetzt.“
Der Film spielt mit der Coulrophobie, also der Angst vor Clowns, die durch Stephen Kings ES und die FS Serie American Horror Story oder durch reale Personen wie den Serienmörder John Wayne Gacy verbreitet wurden.
Wenn ein Clown zum Kindergeburtstag geladen ist, kann dies für Heiterkeit und gute Stimmung sorgen. Außer die Verkleidung dient dazu, die Begleichung einer alten Schuld einzufordern.
In „Ich, der Clown“ von Dieter König nimmt ein Clown einsame Rache an einem reichen Mann.
Auszug: „Meine Maske musste werden wie die Maske des Meisters: schlicht und vertrauenerweckend. Sie musste mein zutiefst verletztes, vergewaltigtes Ich verbergen, musste es gut verstecken, sodass niemand jemals uns beide miteinander in Verbindung bringen konnte. Vor allem nicht in den Stunden danach.“
„Frühere Erlebnisse bestimmen, wie ein Mensch in einer Situation
für Außenstehende handelt … Immer fasziniert uns das Warum;
es ist die Essenz aller großen Literatur. Nichts geschieht ohne Grund.
Das Motiv ist nötig für den Prozess, der zur Aktion führt,
und es stimuliert ihn immer wieder neu:
Der eine handelt aus Liebe, ein anderer aus Hass …“
Lajos Egri, Literarisches Schreiben; Autorenhaus Verlag, 2002
Im 16. Jahrhundert erschienen auch Arlecchino – später Harlekin, Hanswurst – und Pedrolino – später Pierrot und Pulcinelle in der italienischen Commedia dell’arte.
Bedeutende Weiterentwicklungen dieser Figuren, insbesondere auch der Figur des Pagliaccio, dessen Name zum romanischen Begriff für den modernen Clown wurde, fanden im 17. Jahrhundert durch Molière und Mitte des 18. Jahrhunderts durch Goldoni statt. Die entsprechende deutsche Theaterfigur hieß seit dem 16. Jahrhundert Hanswurst. Der Darsteller Franz Schuch näherte seinen Hanswurst um 1750 wieder dem italienisch-französischen Harlekin an.
Ein Krimi spielt immer auch mit unseren Ängsten.
In „Kannst du die Stimme hören“ von Simone Preußner passieren merkwürdige Dinge in einem noch merkwürdigeren Museum.
„Da gibt es den Ängstlichen, der unter sein Bett schaut,
und den Ängstlichen, der sich nicht einmal traut,
unter sein Bett zu schauen.“
Jules Renard
Simone Preußner, die Autorin: „Eigentlich war meine Geschichte für eine andere Anthologie gedacht, aber ich denke, hier bin ich durchaus richtig aufgehoben; sollen uns doch Clowns vor allem zum Lachen bringen.
Warum also ein Clown als Schurke? Ist das nicht fast schon ein Klischee – möchte man fragen?
Vielleicht; aber gerade wenn man aktuellere Entwicklungen betrachtet, wie die Horror-Clowns zu Halloween (meine Geschichte war allerdings schon lange davor fertiggestellt), dann zeigt das, dass diese Figuren, die uns in der Regel nur zum Lachen bringen wollen, uns Angst machen.
Ich fürchte mich nicht vor Clowns, aber ich kenne Leute, denen sie mehr als unangenehm sind.“
Warum ausgerechnet ein Harlekin?
„…weil ich einen Clown wollte, den man nicht zu sehr mit der Figur aus Stephen Kings Roman ‚Es‘ vergleicht. Außerdem sind Harlekins für mich die schöneren und anmutigeren Clowns. Sie stehen nicht für Tollpatschigkeit oder einfachen Witz, sondern viel mehr für Illusion und Tiefgründigkeit. Ich schaue sie gerne an und ich mag ästhetisch ansprechende Schurken, für mich lag also kaum etwas näher als ein Harlekin.
Für das Setting wurde ich durch einen Besuch in einem der ‚Dungeons‘ (Grusel-Labyrinthe, von denen es in Deutschland zwei gibt) inspiriert und die Idee für eine Horror Geschichte in einem solchen Labyrinth schwebte schon lange in meinem Kopf herum. Dazu kam dann ein Aufeinandertreffen mit einem als Harlekin gekleideten Straßenkünstler, der für Kinder und auch Erwachsene zauberte. Was also, wenn dieser in Wahrheit ein Serienmörder wäre?
Zwei Ideen hatten sich gesucht und gefunden, nur wurde aus dem Grusel-Labyrinth eine Attraktion auf der Kirmes und aus dem potentiell schurkenhaften Protagonisten der Antagonist für meine Kurzgeschichte.“
„Es ist nicht zu ändern:
Schurken sind einfach aufregender.“
Wolf Wondratschek
Außer Pistolen, Messern, Gift und Fäusten gibt es noch andere Waffen: Worte.
Wenn jemand über einen längeren Zeitraum hinweg gedemütigt und gekränkt wird, hat das fatale Folgen. Nicht nur für die Betroffenen.
Denn was, wenn sich diejenige irgendwann einmal wehrt und furchtbare Rache nimmt?
In „Clownsche Chirurgie“ von Enrica Malfleur rächt sich eine Chirurgin an ihrem Ehemann für alle erlittenen Demütigungen und Misshandlungen.
Auszug: „Da liegt er. Mitten auf dem Teppich. Lang gestreckt und schlafend. Hilflos. Das Rotweinglas liegt umgestürzt auf dem großen Glastisch. Sein Inhalt hat eine rote Spur der Verwüstung gezogen und beglückt tropfend den auf Hochglanz polierten Holzboden. Ich bin stolz auf meine Voraussicht. Dem Rotwein Schlafmittel beizumengen, hat sich gelohnt.“
„… Bereits ein Charakterzug reicht als Grundlage für eine
spannende Geschichte. Eine Gewohnheit, Phobie oder eine
Überempfindlichkeit …“
Aus: Lajos Egri, Literarisches Schreiben; Autorenhaus Vlg, 2002
Manchmal verbirgt sich ein unheilvolles Laster hinter dem grotesken Anstrich. Da wirkt die Clownsmaske nicht mehr heiter, sondern verstörend; wird als Vorwand genutzt, um Grenzen überschreiten zu können, die als ‚Tabu‘ gelten.
Macht ausüben zu wollen über andere – ein starkes Motiv.</>
Zu lesen in „Mein Vater, der böse Clown“, von Rubi Stephens.
Auszug: „Es ist früh am Morgen. Ich liege in meinem Bett und versuche noch den Schlaf festzuhalten. Aus der Küche höre ich Geräusche. Er ist schon wach, wie immer. Trinkt seinen Kaffee, raucht Zigaretten. Ich kann es riechen.“
Es ist eine bedrückende Gefühlswelt, geschrieben aus der Sicht eines vierjährigen Kindes.
„Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror
nichts anderes ist als Realität.
Alfred Hitchcock
Um einen ähnlichen Übergriff und Ausübung von Macht geht es auch bei Jennifer Arndt in „Clowns wollen dir nichts Böses.“
Ein Mädchen im Vorschulalter trifft auf dem Jahrmarkt auf einen Clown … dem sie Jahre später erneut begegnet.
Auszug: „Mir stockte der Atem. Ein Strom an vergangenen Gefühlen sprudelte in mir hoch und ließ das Blut in mir kochen. Mein Puls raste wie wild und das Herz wollte mir aus dem Brustkorb springen. Es war Unsinn zu denken, dass er mich noch erkannte. Trotzdem wollte mein Körper das nicht ganz wahrhaben. Schließlich versetzte ich mir einen Ruck, atmete tief ein und stürmte los.“
„Das Negative interessiert mehr als das Positive. Das hat schon
Shakespeare gewusst. Im Grunde ist das erfreulich; denn es beweist,
dass das Negative immer noch die Ausnahme ist.“
Tennessee Williams
Übergriffe durch Maskierte im Clownskostüm.
In den USA und zahlreichen anderen Ländern machten Gruselclowns schon vor längerer Zeit die Straßen unsicher – zuletzt mehrten sich auch Berichte über Gruselclowns in Deutschland und Österreich. Als Videos tauchten die makabren Streiche oft im Internet auf.
Der Direktor des Zirkus Roncalli, Bernhard Paul, prophezeite jedoch in einer österreichischen Tageszeitung, die Grusel-Clowns würden so schnell verschwinden, wie sie gekommen seien. Weiters:
„Die Kostümierung dieser Gestalten ist die eine Sache. Dass sie sich ungestraft Clowns nennen, ist die andere. Aber wenn sie dann auch noch mit Sägen und Knüppeln auf Leute losgehen, dann sind es Kriminelle, dafür ist die Polizei zuständig.“
Auch der Geschäftsführer des Vereins „Rote Nasen Deutschland“, Claus Gieschen, betonte in Berlin: „Wer Kinder und Erwachsene erschreckt und sich dabei hinter einer Maske verbirgt, richtet nicht nur seelischen Schaden bei den Betroffenen an, sondern beschädigt das Bild von Clowns in der Öffentlichkeit.“ Und merkte an, dass der therapeutische Einsatz von Clowns in Krankenhäusern wegen der Gruselwelle gefährdet sei.
Auch in der Geschichte „Demaskiert!“ von Hannelore Bracksiek benutzt einer die Clownsmaske als Tarnung.
Ein Clown im Krankenhaus verbreitet gute Stimmung, trotzdem fürchtet sich die 4-jährige, schwer kranke Sophie vor ihm.
Die Autorin: „Die Beweggründe für diese Geschichte sind die fast täglichen Berichte in den Medien von missbrauchten und misshandelten Kindern – unseren Schutzbefohlenen die viel zu oft mit dem Tod bezahlen. Das durch Drohungen erzwungene Schweigen der Opfer und ihr nicht selten lebenslanges Trauma. Die Grausamkeit dieser perfiden Ausnutzung kindlicher Arglosigkeit hinter einer Maske aus Fröhlichkeit und Lachen.“
Auszug:
„Hatte der schon immer so ein komisches Gesicht? Auch als er noch klein war?“, will Sophie wissen.
„Nein, das ist nur eine Maske“, antwortet Janine spontan.
„Was ist eine Maske?“
„Etwas, das man über das Gesicht zieht.“
„Warum?“
„Um sich dahinter zu verstecken.“
„Weshalb will er sich verstecken?“
„Das weiß ich auch nicht: vielleicht, weil er ein sehr trauriges Gesicht hat. Und darüber kann man doch nicht lachen.“
Eine unserer Autorinnen begibt sich in eine frühere Epoche – in die 1950er Jahre. Nach Philadelphia.
Katharina Kern zeigt uns in ihrer Geschichte „Wie du mir, so ich dir“, dass ein ungelöster Kriminalfall auch noch nach vielen Jahren aufklärbar sein kann.
Detective Hodges und sein Gehilfe sind an einer schrecklichen Mordserie dran. Natürlich klären sie den Fall auf – und müssen dabei tief in die Vergangenheit eintauchen.
„Jede literarische Figur hat eine Vergangenheit, eine Gegenwart
und eine Zukunft. Und diese drei Dimensionen bestimmen, wie sie
spricht, sich bewegt, handelt und wächst. Figuren, die nur eine
Gegenwart und eine Zukunft haben, sind flach. Die Gegenwart ist das Kind
von Gestern und die Mutter von Morgen. Glaubwürdige Figuren
vereinen alle drei Generationen in sich.“
Aus: Lajos Egri, Literarisches Schreiben; Autorenhaus Vlg.
Neben dem Varieté bildet vor allem die Zirkusmanege die Heimat des modernen Clowns.
Begonnen hat alles in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem mit Sägemehl übersäten Spielzirkel, der durch Philip Astley zum Schauplatz des Clowns wurde. Genutzt wurde dieser vorerst für komische Artistik auf dem Pferderücken (deswegen auch die Kreisform).
Hieraus entwickelte sich im Folgenden der Komiker mit dem Pferd, wie beispielsweise bei „scènes de manège“ oder „Two Englishmen on horseback“. (Quelle: Wiki)
In der folgenden Geschichte schnuppern wir echte Zirkusluft.
Im Zirkus ‚Traumkuppel‘ werden dem Hauptclown Requisiten gestohlen – aber es soll noch schlimmer kommen.
In „Der Clown, dem das Lachen verging“ von H.H.Hadwiger ist Gier als Motiv vorrangig.
„Mich hat dazu motiviert, dass ich eine Ergänzung und Bestätigung zum Sprichwort: ‚Wer zuletzt lacht, lacht am besten‘ finden konnte“, so der Autor.
„Ich habe niemals von einem Verbrechen gehört,
das ich nicht hätte begehen können.“
Johann Wolfgang von Goethe
Mit der Entstehung fester Spielorte trat der Clown nun als Pantomime auf. Stolperte tölpelhaft in der Manege herum und fing sich Fußtritte und blaue Flecke ein.
Hier zeigt sich schon die Ähnlichkeit mit unserem heutigen Zirkusclown, der ein Sammelsurium von gebündelter Sinnlosigkeit aufzeigt: er rennt gegen Türen, fällt hin, weil er in die falsche Richtung schaut, stürzt über imaginäre Stolpersteine oder auch echte. Er wird zum Realitätsverspotter und bildet die Gesamtheit einer Kultur mit all ihrer Irrationaliät und Ironie ab.
„Der Clown ist derjenige, der fällt, der scheitert, der verliert – und der immer
wieder aufsteht …Wir lachen über Clowns nicht, weil sie so lustig sind,
sondern weil wir unsere eigene Unperfektion, unsere eigene
Lächerlichkeit, einfach all das, was uns belastet, in ihnen erkennen …“
Klaus Werner-Lobo: Frei und gefährlich. Die Macht der Narren. Benenvento Vlg., 2016
Auszug aus einem Interview mit der österreichischen Straßenzeitung Apropos
In „Zirkus vor der Schule“ von Jonas Kissel gastiert ein Zirkus im Ort.
Die Clowns sind mehr unheimlich als lustig, mehr angriffslustig als friedlich, und als die Freundinnen in einer Vorstellung sitzen, läuft überhaupt alles aus dem Ruder.
„Ich glaube, dass der Kriminalroman keine niedere
Kunst darstellt, weil er dazu beiträgt, symbolisch natürlich,
eine Lösung für den Umgang mit der Angst zu finden,
mit der wir ständig leben.“
Fred Vargas, zitiert aus: Tobias Gohlis, Dämonen bannen.
In: Buchjournal 1/2007
Die Verkleidung des typischen (Zirkus-)Clowns besteht aus verschiedenen Elementen. Er trägt oft zu große, bunte Kleidung, eine Perücke und eine rote Nase. Häufig wird durch Größenkontraste – wie zu große Schuhe und besonders ausgestaltete Kostüme – eine komische Unangemessenheit herausgestellt. Besonders ist auch das geschminkte Gesicht, das je nach Typ variiert.
Durch die Vergrößerung oder Verkleinerung verschiedener Gesichtsteile mit Schminke verändern sich die Gesichtsproportionen, was wiederum Einfluss auf die Mimik hat … (Quelle: Wiki)
Ebenfalls in der Zirkuswelt angesiedelt ist die Geschichte “Bobbie der Clown“ von Julia Damer, allerdings mit einem psychiatrischen Phänomen verknüpft: Bobbie hört Stimmen.
Bobby im Zirkus Fantastico lebt mit seiner 9-jährigen taubstummen Tochter zusammen.
Es geht ihm finanziell schlecht, körperlich auch.
Eine Stimme sagt ihm, er solle endlich wieder einmal Fleisch essen. Lebendfleisch …
„Wir leben in einer Gesellschaft, die in Gut und Böse kategorisiert –
und die uns dazu bringt, dass wir uns innerlich aufspalten,
und jene Anteile verdrängen, die als böse angesehen werden.“
Klaus Werner-Lobo, Clown und Autor,
in einem Interview mit der Straßenzeitung ‚Apropos‘, 2017
Auf der Kirmes lernen auch die nächsten Protagonisten „ihren“ Clown kennen:
Die viel zu großen Schuhe und die auffällige weiße Schminke machen zwei Kindern in „Mamaclown“ von Jessica Riedel Angst.
ie beiden besuchen – während ihre Eltern auf Kreuzfahrt sind – für eine Weile die Großeltern auf dem Land.
Als Nachbarin die unheimliche „Tante Beete“. Ein Jahrmarkt mit angstmachendem Clown. Merkwürdige Vorkommnisse im Haus der Großeltern. Als die Kinder einen Nachmittag allein verbringen, eskaliert das Ganze.
„Horror war schon immer mein Ding“, sagt die Autorin. „Ob auf den Seiten der Bücher oder auf der Leinwand.“
Auch in ihrer Geschichte ist Rache das Motiv für kriminelles Geschehen.
„Nur irgendwann begann meine Fantasie, die schon immer recht lebhaft war, ein Eigenleben zu entwickeln und hielt mich dazu an, dies auf Papier zu bringen – und so auch anderen einen Schrecken über den Rücken zu jagen.
Der Titel ‚Lachender Tod‘ sprach mich aus diesen Gründen sofort an und ich sah die Möglichkeit, euch an meinen dunkelsten Gedanken teilhaben zu lassen.
Ein großes Dankeschön an alle Menschen, die nicht an meinen Traum glaubten und lachten. Ihr habt mir den Mut gegeben, ihn in die Tat umzusetzen.“
Wenn ein Beamter der Mordkommission suspendiert wird, weil er sich zu sehr in einen Fall verbeißt, sind wir in der Geschichte „Die Hütte am See“ von Jürgen Gabelmann gelandet.
Auch hier ist das Motiv Rache.
Der Kommissar und Ich-Erzähler verheddert sich in seiner eigenen Biografie, die untrennbar mit dem Fall verwoben ist. Und in der Hütte, da laufen alle Fäden zusammen.
Der Autor Jürgen Gabelmann: „Ich hatte schon lange vor, eine Horrorgeschichte zu schreiben – und was bietet sich da besser an als ein Clown und eine einsame Hütte im Wald, um damit zu beginnen.“
„Spannung … ist eine Form von Neugier. Der Autor wirft
Fragen auf, die den Leser neugierig machen … oder der Autor
erweckt mehr als Neugier, indem er beim Leser Angst oder
Besorgnis auslöst. Spannung, die den Leser ängstlich oder besorgt macht,
ist ganz bestimmt stärker als bloße Neugier.“
Aus: James N. Frey, Wie man einen verdammt guten Roman schreibt, Emons Vlg.
Von Rache und diversen Vorfällen in einem Freizeitpark handelt „Der Giftzwerg“ von Andreas Krohberger.
„Genau dort, wo später fiktionales Blut aus meiner Feder fließen sollte, genau vor diesem breiten Bett im Wohnwagen eines Clowns, bin ich vor vielen Jahren gestanden. Eine Flasche Bier in der Hand, ließ ich mir seine Geschichte erzählen. Er war ein Zwerg und legte größten Wert auf diese Bezeichnung. Er genoss es sichtlich, mich mit einer einladenden Geste zum Bett hin in Verlegenheit zu bringen. Es war der Keim für die viel später geschriebene Geschichte vom ‚Giftzwerg‘. Der Clown war real. Absolut erfunden sind dagegen seine Bösartigkeit, sein mörderischer Hass, seine Taten. Doch die Begegnung im Rahmen meiner Journalistentätigkeit notierte ich in einem kleinen Büchlein, das ich schon damals mit mir führte.“
In Andreas Krohbergers Geschichte versetzt nicht nur der Zwerg-Clown alle in seiner Umgebung in ungute Stimmung; auch die Schimpansen, die im Freizeitpark ihre Kunststücke vorführen sollen, reagieren ungewohnt.
Der Autor zeigt auf, dass sich Tiere, die jahrelang gedemütigt und versklavt werden, irgendwann rächen. Und die Rache fällt übel aus.
„Wie es in einem Freizeitpark zugeht, all die Ränke und Allianzen hinter den Kulissen, erfuhr ich von meiner Schwester, die jahrelang als Artistin in so einem Park arbeitete. Wenn ich sie besuchte und wir vor dem Wohnwagen Kaffee tranken, mussten wir nicht selten unseren Kuchen vor den gierigen Händen der Berberaffen schützen …
Der Clown ist längst gestorben, wie ich hörte … Das tut mir natürlich leid. Aber froh bin ich, dass er so meine Geschichte vom ‚Giftzwerg‘ nicht in die Hände bekommen kann. Sonst hätte er ihre Wurzeln womöglich zurückverfolgen können. Und Dinge auf sich bezogen, die allein meiner Phantasie entsprangen. Das wäre mir peinlich gewesen. Schließlich verwendet man als Autor viel Mühe darauf, die Bezüge zur eigenen Biografie zu maskieren.
Lieber als die Frage ‚bin ich etwa dieser Idiot in deiner Geschichte?‘ ist es uns schon, wenn der Leser vor unserer grandiosen Phantasie bewundernd auf die Knie fällt!“
In „Zweiter Frühling“ von Aşkın-Hayat Doğan ist Gier ein starkes Motiv. Und lässt die Protagonistin grausam werden.
Hier steht nicht ein Clown, sondern die gealterte, clowneske Balletttänzerin Duddy im Fokus, die für Geld alles macht und mit der Webcam aufnimmt – sei es noch so abartig.
Auszug: „Das Internet, dieses medusenhafte Monster, das anonym auch die düstersten Schlafzimmer und ‚Büros‘ überall auf der Welt erreicht, hatte ihr nach Jahren verbitterter Vergessenheit einen zweiten Frühling beschert. Ein treuer Fan hatte ihr einen Computerkurs spendiert und sie in die Welt des World Wide Web eingeführt. Es war auf einmal sehr einfach, Freunde der gehobenen Clownerie zu finden … Stilvolle Nostalgiker, heimliche Coulrophile und Fans ließen in den Foren ein Revival der alten Zeiten zu und erhoben Duddy auf ein virtuelles Podest. Ein paar gekaufte Domains mit Künstlernamen und marketingstrategisch eingebauten Newslettern, Rabattshows und hoch frequentierten Live-Hangouts hatten sie zu ihrem Comeback geführt.“
„Der Glaube an einen übernatürlichen Ursprung des
Bösen ist nicht notwendig; die Menschen sind von sich aus
zu jeder Gemeinheit fähig.“
Joseph Conrad
Ebenso mit der virtuellen Welt verknüpft ist „Die Onlinemarionette“ von Eileen Leistner.
Ein Junge, der in der realen Welt nicht klarkommt, freundet sich in der virtuellen mit einem Clown an. Der gibt ihm aber keine Überlebenstipps, sondern etwas anderes …
„Clowns sind faszinierende Charaktere für Literatur … die es schaffen, kindliches Vergnügen in nacktes Grauen umschlagen zu lassen“, so die Autorin Eileen Leistner. „Dieses Motiv habe ich in ‚Die Onlinemarionette‘ auf einen aktuellen Kontext, nämlich dem Sich-Verlieren-in-Computerspielen bezogen.
Der lustige Geselle und Retter in der Not trägt in der virtuellen Welt die Clownsmaske, doch dahinter verbirgt sich in der Realität ein ganz anderes Gesicht, das dem Protagonisten zum Verhängnis wird. Spannend sind zudem Masken, die in den Geschichten undurchdringlich bleiben und so den Leser in ratlosem Schrecken zurücklassen.“
Aber Clowns sind nicht nur Täter, sondern auch Opfer.
Im Seziersaal wird ein toter Gaukler eingeliefert.
In „Leichenschau“ von Laura Cabrera hört der Student Björn Stimmen, die sonst keiner hört, und der tote Gaukler verfolgt den labilen Mann bis ins Schlafzimmer.
Auszug: „Björns Glieder waren eingefroren. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, doch die Formen waren noch da. Er nahm vorsichtig einen kleinen Teil Decke in die Hand und riss sie weg.
Das Bett war leer.“
„Es ist viel leichter, sich über die Machenschaften von Banken
und Konzernen zu empören, weil dabei ja die anderen böse sind
und ich gut. Es ist schmerzhafter und schwieriger zu sagen:
Moment, ich muss mich mit meinen eigenen Dämonen beschäftigen.“
Klaus Werner-Lobo: Frei und gefährlich. Die Macht der Narren. Benenvento Vlg., 2016
Nicht nur frühere Epochen sondern auch versunkene Kulturen werden in unseren Geschichten thematisiert.
In „Goldgier“ von Peter Splitt berichtet ein Reiseschriftsteller, dessen Hobby die Erforschung alter Kulturen ist. Auch hier ist Gier ein starkes Motiv: die einen gieren nach einem archäologischen Schatz aus wissenschaftlichen Interessen heraus, die anderen, weil sie sich auf kriminelle Art damit bereichern möchten.
Es beginnt auf einer Farm in Corbacho, Peru. Eine Aktenmappe mit brisantem Inhalt. Pyramiden, präkolumbianische Ruinen. Ein ungehobener Schatz aus der Inka-Zeit. Und die Kontrahenten haben die Verfolgung bereits aufgenommen.
Auszug: „Er griff seitlich an der Kalksteinplatte in den Sarkophag hinein und erstarrte. Es war ein zuckender Schmerz, stechend, aber nur oberflächlich, so als hätte ihm jemand mit einer Nadel in den Arm gestochen. Vor Schreck schnappte er nach Luft und wollte die Hand herausziehen, da spürte er den zweiten Stich. Der war erheblich stärker …
Als er seine Hand herausriss, hing etwas an seinem kleinen Finger, wand und schlängelte sich. Er schrie auf und schüttelte seine Hand, doch das Ding blieb hängen.“
Jede Geschichte braucht einen Konflikt; das bedeutet: mindestens zwei Handelnde mit unterschiedlichen Interessen.
„Wer andere beherrschen will, profitiert davon, dass Menschen
mit sich selbst in Konflikt sind.“
Klaus Werner-Lobo: Frei und gefährlich. Die Macht der Narren. Benenvento Vlg., 2016
Ein verrückter, mordender Clown tritt in „Spiegel“ von Sandra Silbach auf.
Eine junge Frau, gefangen in einem Spiegellabyrinth – sie findet weder den Ausgang noch ihre beiden Freunde. Dafür macht sie einen grausigen Fund.
Auszug: „Sie hastete um eine Ecke und ihre Füße verfingen sich in etwas auf dem Boden.
Lisa fiel weich. Alles war klebrig und roch nach Blut.
Sie wollte aufspringen und in die andere Richtung fliehen, doch ihre Beine wollten nicht mehr. Gaben einfach nach und bewegten sich nicht. Sie blieb mitten im Gang liegen.“
„Das absurde Verbrechen ist wie Religion. Unglaublich, aber faszinierend.“
Alfred Hitchcock
Wir hatten bereits irre Clowns, hier ist noch einer: In „Nimm Platz“ von Tibor Lehberg.
Melissa und ihre Freundin wollen einen besonderen Abend verbringen, ein Künstler bietet in einem kleinen Theater eine spezielle Show an. Sie sind insgesamt zwölf Besucher, müssen Handys und Taschen abgeben und dürfen ab jetzt nicht mehr sprechen.
„Ein unheimlicher Psychopath, der Angst und Schrecken verbreitet, womöglich noch an einem Ort, der nicht für die Mordgelüste eines Geisteskranken sofort in Frage kommt“, so der Autor.
„In dieser Form spukte mir schon seit Längerem eine grobe Fantasie durch den Kopf.
Und mit dem Beginn der Ausschreibung ‚Lachender Tod‘ entwickelte sich auch ziemlich schnell eine Idee und aus den wirren und grausamen Gedanken formte sich letztendlich diese Geschichte. Angeregt durch Filme wie ‚Halloween‘ mit Michael Myers oder Stephen Kings ‚ES‘, stellen für mich maskierte Bestien einen besonderen Reiz dar.“
Der Clown ist ein Artist, dessen primäre Kunst es ist, Menschen zum Lachen zu bringen. Der Begriff leitet sich von einem englischen Begriff ab und bedeutet in etwa „Bauerntölpel“ (16. Jahrhundert). Im Englischen wird er seit etwa 1600 n. Chr. für „Narr, Spaßmacher“ verwendet.
Wahrscheinlich, unter dem Einfluss der Shakespeare-Übersetzungen, wird das Wort seit dem 18. Jahrhundert auch im Deutschen verwendet.
Ein veralteter, vor allem in Dialekten gebräuchlicher Begriff, ist Bajazzo (vom französichen Paillasse, oder italienischen Pagliaccio hergeleitet). (Quelle: Wiki)
Eine frühe Erzählung von Thomas Mann trägt den Titel Der Bajazzo und handelt von einem reichen, selbstgefälligen Kaufmannssohn, der deutlich spürt, dass er das Zeug zum Musiker oder Schauspieler hat. Leider wird sein Genie von der Gesellschaft, die er verspottet, verkannt. Nachdem ihn auch noch die liebreizende Anna ablehnt, fühlt er sich verloren und als lächerliche Figur gebrandmarkt.
Besonders fies ist, wenn der Ich-Erzähler dran glauben muss – wie in „La comedia è finita!“ von Christopher Riedmüller.
Er wird tatsächlich von einem verrückt gewordenen Clown niedergestochen – der stets, wenn er wo auftaucht in der Geschichte, die schmerzerfüllte Arie des Canio aus Ruggero Leoncavallos Oper „Der Bajazzo“ rezitiert.
In der Rückblende erfahren wir die Ursache des Übels. Natürlich geht es um eine Frau.
Auszug:
„‘Lache, Bajazzo, über die zerbrochene Liebe, über den Schmerz.‘
Ich springe auf, so schnell es mein Zustand zulässt, packe meinen Gehstock und eile zur Haustür. Verschlossen, war ja mal wieder klar. Ich drehe mich um. Direkt vor mir steht er, einen Kopf größer als ich. Wut schießt in mir hoch, als er sein blödes Klappmesser zückt und von einer Hand in die andere wirft.“
Dean Koontz meint in „How to Write Best-Selling Fiction“:
99 von 100 unerfahrenen Autoren machen auf den ersten Seiten ihres Buches denselben Fehler: sie beginnen ihren Roman nicht damit, dass sie ihren Helden oder ihre Heldin in fürchterliche Schwierigkeiten versetzen.“
Die 23 Autoren und Autorinnen in „Lachender Tod“ haben diesn Fehler nicht gemacht.
Am Entstehen dieser Anthologie waren unzählige Menschen beteiligt:
vorneweg die Sarturia®-Literatur-Akademie mit ihrem Leiter, Dieter König, mit all den gewissenhaften Coaches, Lektoren, Lektorinnen und Korrekturbeauftragten; mit Detlef Klewer, der das geniale Cover gestaltet hat; mit den fleißigen Helfern, die den Arbeitsfluss am Laufen halten, die unter anderem dafür sorgen, dass unsere Bücher gedruckt und ausgeliefert werden, dass es eine e-book-Ausgabe geben wird – und last but not least, die begabten Autorinnen und Autoren.
Ihr habt unterschiedlichste Figuren geschaffen – bunt, schillernd, vielfältig – und mit Leben erfüllt.
Diese Charaktere sind es, die das Papier, auf dem sie schwarz auf weiß gedruckt sind, zum Atmen und Leuchten bringen.
Auf das Ergebnis dürfen wir wirklich alle stolz sein!
Christine Jurasek, Herausgeberin von „Lachender Tod“.
„Erwachsene lieben Geheimnisse. Sie lassen sich gerne möglichst
lange und genüsslich auf die Folter spannen – bis es zur,
hoffentlich plausiblen, Aufklärung kommt. Ein guter Krimi entführt
in unbekannte Milieus und Landstriche und ist, im besten Fall,
ein Gesellschaftsroman par excellence.
Der Extremfall Mord und Totschlag lässt das Beste
und die Bestie im Menschen frei.“
Anne Chaplet