Ein Clown im Mondlicht ist nicht lustig …
Making of: Böse Clowns
Clowns sind lustig. „Ein Clown ist ein Artist, dessen primäre Kunst es ist, Menschen zum Lachen zu bringen.“ So will es „Wikipedia“ und so trifft man diese Gestalt mit seinen Possen, viel zu großen Schuhen oder einer in Kunstblumen versteckten Wasserspritze, als „Akrobat schön“ oder „dummen August“ im Zirkus, im Varieté oder auf Jahrmärkten.
Mit „bösen“ Clowns verhält es sich anders. Sie sind unheimlich, weil sie das Vertraute, die gute alte Zirkusfröhlichkeit, in etwas radikal Unerwartetes verkehren: „There’s nothing funny about a clown in the moonlight“, ist ein Zitat des berühmten Horror-Mimen Lon Chaney, dem Mann mit den „tausend Gesichtern“.
Das Unbehagen, das ein gruseliger Clown auslöst, entsteht erst im Auge des Betrachters, denn der Clown erzeugt die Ängste nicht. Er kitzelt sie lediglich hervor – die Ängste sind längst vorhanden. Unterbewusst.
Der heitere Schabernack, der uns zum Lachen bringen soll, verwandelt sich in fratzenhafte Orientierungslosigkeit. Das Gesicht bleibt verborgen. Der verunsicherte Betrachter stellt sich die Frage: Was will der Typ hinter der Maske?
Eine Frage, die auch den Autor von „Die Berührung des Clowns“ Ben Riebel beschäftigte: „Was macht den Anblick eines Clownsgesichts so seltsam und für einige angsterregend? Ich denke es die Tatsache, dass er seine Maske offen trägt und sie nicht verleugnet. Wir alle tragen Masken. Ein falsches Lächeln hier, etwas geheucheltes Interesse dort. Wir denken meist schon nicht mehr darüber nach, wenn wir sie aufsetzen. Der Clown konfrontiert uns damit und kann so unter der Schminke er selbst sein, mehr als wir es für uns selbst auch nur träumen.
Was sehen wir dort? Im Gesicht jenseits der Maske? Ich denke, es ist die Spiegelung unseres Selbst, ein kurzes Erhaschen der unausgeloteten Tiefen in uns, die uns zurückweichen lässt.
Meine Geschichte handelt von zwei Brüdern, die Geisterbahn besuchen. Auch diese trägt eine Maske, hinter der sich unaussprechliche Dunkelheit verbirgt und in ihrem Herzen ertönt das irre Lachen eines Clowns.“
Rätselhafte Clowns erscheinen wie die Allegorie auf eine Welt, die sich selbst unheimlich geworden ist – eine Welt, die derzeit mehr Schreckensnachrichten und Fatalitäten hervorbringt, als das harmoniebedürftige Menschenherz auszuhalten vermag.
Warum steht er da im Mondlicht? Scheinbar sinnlos, wie ein einsames Symbol einer verunsicherten Psyche?
Der dämonische Clown verweigert die klare Zuordnung. Er ist eine bedrohlich offene und vollkommen unbestimmte Gestalt, eine Ambivalenzfigur, die alle Erklärungsroutinen sprengt und sich in kein Deutungsmuster pressen lässt. Ein anarchischer „Spaßmacher“, der sich am Ende jeder Kontrolle entzieht.
Oder auch ganz einfach böse ist, wie in der Geschichte „Schandmaul“ von Marie-Claire Born. „Der Clown ist ein wechselhaftes Wesen. Er trägt eine Maske, wie ein Mensch. Er spielt falsche Tatsachen vor, wie ein Mensch“, erklärt die Autorin. „Er braucht Bestätigung zum Überleben, wie ein Mensch. Das Einzige, was er anders macht, ist die überdeutliche Darstellung der eigenen Gefühle. Er hält den Menschen einen Spiegel vor, den sie manchmal mögen und manchmal unheimlich finden. Warum? Weil sie ihn hinter dem Plastik und der Pappe nicht sehen können. Nicht wissen, was er wirklich vorhat. Somit findet der Mensch im Grunde sich selbst unheimlich. Der Clown stellt den Menschen dar – und der Mensch fürchtet sich vor ihm.
In meiner Geschichte ist nicht der Clown das Böse, sondern das Böse der Clown. Es wählte den Spiegel der Menschheit, um Lorena zu zeigen, wer sie ist, mit der klassischen Übertreibung in der Darstellung der Gefühle und der undurchsichtigen Maske, die jeder Mensch trägt. Er ist nicht mehr und nicht weniger als eine Stimme aus dem Off. Eine Selbstdarstellung, die nichts anderes tut, als mechanisch zu lachen und somit die Welt eines Menschen aus den Angeln hebt.“
Die Stunde des Clowns schlägt immer dann, wenn Ängste überhandnehmen und die ganze Welt verrückt spielt. Die Clowns sind Resonanzfiguren. Sie betreiben die Spiegelung der Schrecken, sie bündeln Bedrohungsgefühle und geben sie als spöttische Grimasse an die Gesellschaft zurück. Der unheimliche Clown ist kein Revolutionär, er ruft nicht zum Widerstand auf und macht keine Vorschläge zur Weltverbesserung.
Der Autor der Story „Es“, Anton Vogel, denkt: „Der Clown – er ist mehr als ein Possenreißer mit überhöhter Schmink-Physiognomie. Er ist ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Stimmungen, ein Wanderer zwischen Welten, der das Heitere mit dem Tragischen, die Komik mit der Traurigkeit verbindet. Ich selbst gehörte nie zu jenen, die sich vor der unberechenbaren, weil alterslosen und emotional schwer einschätzbaren Maske des Clowns fürchten. Aber manchmal beschleicht auch mich das Gefühl, dass sich mehr als Lustigkeit oder etwas ganz anderes als reine Komik hinter der weißen Schminke und der festgemalten Mimik verbergen könnte. Eine Welt der Ängste und Zweifel, der Hoffnungen und Freuden, die in jedem von uns lebt und die der Clown uns widerspiegelt?“
Ich persönlich mag keine Clowns. Selbst als Kind konnte ich mich beim Zirkusbesuch mit dem oft derben Humor nicht anfreunden.
Und ich konnte nie verstehen, dass nicht alle Kinder vor dem Vorzeigeclown einer bekannten Fast-Food-Kette schreiend davonrannten.
Damit stehe ich nicht allein. Autor Daniel Huster, der die Idee für „Der Clown in Zimmer 2.29“ einer Umfrage der University of Sheffield entlehnte, in der 250 Kinder zu den Clownsbildern in ihren Krankenhauszimmern befragt wurden (Nicht ein einziges fand sie lustig oder erheiternd. Viele empfanden sogar Furcht.), beschreibt seine Erfahrungen so: „Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit acht oder neun Jahren das erste Mal ein Zirkuszelt betrat, umgeben von einer schreienden Horde aufgeregter Kinder. Es wurde geklatscht, es wurde gelacht und dann … tja, dann kam dieser ‚Spaßmacher‘ mit leuchtend grünem Haar und einem viel zu breiten Grinsen auf den Lippen. Von der ersten Sekunde an mochte ich ihn nicht, und bis heute kann ich nicht genau sagen, woran das eigentlich lag. Er alberte rum, taumelte durch die Manege, stolperte über die viel zu großen Schuhe und klatschte in die Hände. Mein Banknachbar – vielleicht vier Jahre älter und das Gesicht voller Pickel – zeigte auf ihn und kugelte sich fast vor Lachen. Aber ich nicht. Ich saß da und spürte meinen Magen. Irgendwann begann der Clown mit den Leuten aus dem Publikum zu spielen. Er warf ihnen Bälle zu und bespritzte sie mit Wasser. Immer wenn er an meinem Platz vorbeispazierte, versteckte ich mich hinter den Schultern meines Vordermannes. Er sollte mich nicht sehen, um keinen Preis der Welt, denn sein Grinsen machte mich wahnsinnig. Alle Kinderaugen hingen an dem Clown. Manche glitzerten vor Staunen und Entzücken, andere, weil sich Tränen der Angst in ihnen bildeten. Ich war nicht der Einzige dort, der sich wünschte, dieser unheimliche Typ möge verschwinden, möge mitsamt seiner Schminke ein letztes Mal stolpern und anschließend zur Hölle fahren. In der darauffolgenden Nacht schlief ich keine Stunde am Stück. Ich sah sein Gesicht und die rot verschmierten Lippen. Wahrscheinlich verbarg sich damals ein ganz harmloser Kerl unter der Maske; ein junger Mann, der abends sein Bier trank und froh war, endlich aus den albernen Klamotten rauszukommen. Wahrscheinlich.“
Der Autorin der Story „Die Stundenuhr“, Tatjana Beckmann, geht es ähnlich. „Als Kind hatte ich Angst vor Clowns. So sehr ich den Zirkus liebte, die Musik, das Glitzern, Zuckerwatte, Artisten, Pferde und Löwen, so sehr fürchtete ich die unvermeidlichen Clowns. Wenn sie in die Manege gestolpert kamen und einander Torten ins Gesicht warfen – das taten sie damals in den Sechzigern ständig! -, kniff ich die Augen zu und wartete, bis der Spuk vorbei war. Wie meine Angst vor Autofriedhöfen verlor sich auch die Coulrophobie (Angst vor Clowns) mit dem Älterwerden von selbst.
Heute, wo ich mich als Psychotherapeutin beruflich mit Ängsten beschäftige, verstehe ich meine Kinderangst als eine Furcht davor, aus dem Rahmen zu fallen und der Wut zu begegnen: meiner eigenen und der meiner Eltern.“
Ebenso suspekt waren Clowns unserem „Der große Bono“-Erfinder Hans-Jürgen Hetterling. „Auch ich hatte als Kind Angst vor Clowns. Ein weißes Gesicht, in Verbindung mit alten Ängsten, da drängt sich die Nähe von Totenköpfen, Vampiren, Spukgestalten förmlich auf. Herausgelöst aus der normalen, bunten Welt eines Zirkus wirkt ein solches Wesen wie ein gestaltgewordener Albtraum.“
Florian Krenn – „Wer zuletzt lacht …“ – schildert: „Mit Clowns stehe ich seit jeher auf Kriegsfuß. Schon als Kleinkind habe ich bei Zirkusplakaten, auf denen Clowns abgebildet waren, zu weinen begonnen. Damals dachte ich, sie würden mich auslachen.
Clowns sind heute natürlich kein Problem mehr für mich, aber außerhalb des Zirkus muss ich ihnen nicht begegnen. Sie stehen für mich für Täuschung und Verschlagenheit, denn sie versuchen uns glauben zu machen, dass sie dumm oder lustig sind – aber wer weiß, wie es unter der Maske wirklich aussieht?“
Ebenso deutlich formuliert es Andrea Timm, obgleich sie die Sache differenzierter betrachtet – und in „Charmeur in Schwarz“ auch schildert: „Ich hasse Clowns! Schon als Kind fand ich Clowns überhaupt gar nicht lustig, was mit Ausnahme meiner Geschwister niemand verstanden hat. Die bunten Kostüme waren mir zu albern, und ich mochte mir ihre in meinen Augen grässlich geschminkten Gesichter nicht ansehen. Ich bin heute noch kein Freund
davon, wenn einzelne Gesichtsteile übergroß bemalt werden. Größer geschminkte Lippen bei Frauen finde ich überhaupt nicht ästhetisch. Ganz anders verhält es sich bei schwarz-weißen Pantomimen. Deren kunstvolle Erscheinung empfinde ich als sehr ansprechend. Es hat etwas
Edles und Zauberhaftes.“
Ein Clown im Mondlicht ist also nicht lustig. Diese Aussage bestätigt stellvertretend mein Erlebnis aus den frühen neunziger Jahren. In einer Vorstellung des „Rocktheater Nachtschicht“ betrat ein Mann die Bühne. Weiß geschminktes Gesicht, schwarz umrandete Augen, roter Mund. Er trug eine blutbespritzte Schlachterschürze und hielt ein Messer in der Hand. Minutenlang stand er da, schweigend, fast bewegungslos und starrte das Publikum an.
Leichtes Unbehagen machte sich unter den Zuschauern breit, ein Hüsteln hier – ein Kichern da. Und dann – in diese nervöse Stille hinein – begann der Mann plötzlich gleichzeitig zu brüllen und drei Schritte in Richtung Publikum zu laufen. Kann sich jemand vorstellen, wie das auf Zuschauer wirken kann, die Kabarett und Rockmusik erwarten?
Durchaus möglich, dass hier bei manchem der Grundstock für eine Phobie gelegt wurde.
Andere unserer Autoren sehen das gelassener. Anton Vogel zum Beispiel. Er sagt: „Für mich war keine Zirkusvorstellung ohne Clowns denkbar. Immer wieder lockerten sie als Spaßmacher die Vorstellung zwischen Akrobatik-Darbietungen auf, brachten die Nerven wieder zur Ruhe, wenn eine schwindelerregende Trapez-Nummer glücklich mit dem Abschluss-Tusch und dem unversehrten Abgang der ArtistInnen geendet war.“
Sonja Schirdewan – vertreten mit „Der Clown ihrer Träume“ – entscheidet sich für die „Schweizer Variante“: „Clowns an sich stehe ich eigentlich eher neutral gegenüber, weder find ich sie besonders lustig, noch von vorneherein direkt gruselig.“
Thomas Williams hingegen begeistert sich gar für die Gruselclowns: „Eigentlich mag ich keine Clowns. Sie machen mir keine Angst und unterhalten mich auch nicht, aber bösartige Clowns finde ich großartig. Vielleicht wegen diesem ewigen Grinsen in ihrem geschminkten Gesicht, das statt Freude absoluten Horror verbreitet.“
Clowns können fürchterlich sein. Furchterregend. Jüngst waren es Horror-Clowns in Frankreich, die in Clownskostümen arglose Passanten belästigen. Und tatsächlich ist ausgerechnet Pogo der Clown ein Serienkiller mit dem bürgerlichen Namen John Wayne Gacy, der in den 70er Jahren 33 Jungen und junge Männer entführt, missbraucht, ermordet und dann unter seinem Haus vergraben hat. Gleichzeitig ist er als Clown in selbst genähten Kostümen auf Kinder- und Straßenfesten aufgetreten.
Die „dunkle Seite“ der Clowns führt zu einem Phänomen mit der wissenschaftlichen Bezeichnung: Coulrophobie – der Angst vor Clowns.
Die findet sich auch im Titel der Geschichte von Leif Inselmann. Sein Statement: „Kaum jemand findet Clowns lustig – ich auch nicht. Vielmehr wirken sie unheimlich, ja geradezu Furcht einflößend, sodass sie längst zu einem etablierten Stereotyp der Horrorkultur geworden sind. Vielleicht liegt es an Schminke und allgegenwärtigem Grinsen, die das wahre Gesicht und seine Emotionen verbergen wie eine Maske. Vielleicht verkörpern sie durch ihre sinnlosen Späße ein Prinzip der reinen Willkür, welches unserer Lebensphilosophie grundsätzlich widerspricht. Oder sie sind ein überkommenes, nicht totzukriegendes Relikt aus jenen Zeiten, als der Humor noch einen anderen Charakter hatte. Vermutlich ist es etwas von allem. Doch dass sogar eine ganze Anthologie böse Clowns in den Mittelpunkt stellt und damit unzählige Autoren wie mich anzieht, die sofort angetan von diesem kuriosen und doch so dankbaren Thema sind, beweist vor allem eines: Solange unheimliche Clowns Film und Literatur entsteigen, gedeiht die allgemeine Coulrophobie, egal woher das negative Image ursprünglich stammt.“
Nun, gruselige Clowns begegnen uns mit ihrem Gothic-Antlitz auf Plattencovern, wie das „Zirkus Zeitgeist“ betitelte Album von „Saltatio Mortis“. Sie geistern durch Musikvideos wie „Storytime“ von „Nightwish“ oder tauchen gar im Bandlogo von „Lacrimosa“ auf.
In dem B-Movie „Killer Clowns from outer Space“ geht es um eine Gruppe Außerirdischer, die als Clowns auf die Erde kommen. Durch „100 Tears“ stapft ein Psychokiller im Clownskostüm und in einem indonesischen Beitrag mit dem Titel „Badoet“ begehen gar Kinder Selbstmord, nachdem sie Zeichnungen von Clowns angefertigt haben.
Was lag also näher, als den „bösen Clowns“ – den Gauklern, die uns nicht nur Spaß bereiten, sondern vor allem Angst einjagen – eine eigene Anthologie zu widmen.
Die Motivation der Autoren gestaltete sich höchst unterschiedlich. Markus Kohler – mit seinem Beitrag „Eigentlich heiße ich Jeff …“ – „hat es gereizt an dieser Anthologie mitzumachen, weil ich schon als Kind immer dachte, was steckt wohl für ein Mensch hinter dieser Maske. Je älter ich wurde, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, das muss nicht immer ein Spaßvogel sein, das kann auch etwas ganz Böses sein.“
Andrea Timms „konkrete Inspiration war sicherlich ein Erlebnis, als mein Sohn vor ein paar Jahren im Krankenhaus lag und dort von Krankenhausclowns besucht wurde. Er war eigentlich schon zu alt für die Nummer mit dem Luftballon, machte aber gute Mine zu albernem Spiel. Obwohl er den Zaubertrick durchschaut hatte, spielte er mit, um nicht
unhöflich zu erscheinen. Erst, als die beiden das Zimmer verlassen hatten, lachte er sich kaputt – treffender formuliert: machte er sich lustig über die Clowns.“
Einen anderen Ansatz hält Marie-Claire Born bereit. „Es gibt viele philosophische Ansätze den Menschen zu definieren – von Grund auf böse oder von Grund auf gut sind die meist gewählten Ansätze. Meine Geschichte trägt eine Botschaft in sich. Sie soll den Leser in vielerlei Hinsicht verwirren und dazu bringen, Fragen zu stellen. Ich wollte diese komplexen Denkansätze mit etwas verbinden, was der Allgemeinheit gefällt: Spannung und Abenteuer.“
Literarisch hat Stephen King den „bösen Clowns“ bereits vor Jahren ein Denkmal gesetzt, indem er „Pennywise“ zuerst in die Kanalisation von Derry und dann in die Albträume seiner Leser schickte. So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Horrorklassiker einige unserer Autoren inspirierte.
Tatjana Beckmann erklärt: „In meinen Zwanzigern hielt mich Steven Kings Clown Pennywise ein ganzes Wochenende lang in Atem. Ich legte das Buch nur weg, wenn mir die Augen zufielen, um beim Aufwachen sofort weiterzulesen. Ich glaube, ich habe ES sogar mit aufs Klo genommen. In der Vorbereitung auf meine Geschichte „die Stundenuhr“ habe ich mich wieder intensiv mit Clowns beschäftigt, und ES zum zweiten Mal gelesen. Wieder mit ähnlicher Faszination.“
Nicole Malzahn, die mit „Die Rückkehr des Ulkpulks“ vertreten ist, erzählt: „Bei ‚Clowns und Horror’ denkt man natürlich als erstes an den guten, alten Pennywise. Beim Gedanken an seine Fratze und dem Wunsch, etwas Neues, Anderes zu schreiben, formte sich irgendwie die Idee mit den Clownsmasken.“
Auch Naemi Berner, unsere jüngste Teilnehmerin, die sich mit „Emmas Clown“ dem Thema psychologisch nähert, schätzt ihr literarisches Vorbild: „Ich persönlich hatte nie ein Problem mit Clowns, fand sie aber weder lustig noch anderweitig interessant. Alles änderte sich, als ich Steven-King-Fan wurde und ES gelesen habe. Ich leide seitdem unter Clown-Pennywise-Trauma und Gullydeckel-Phobie. Etwa zwei Wochen nachdem ich ES beendet habe, stieß ich auf die Ausschreibung und habe mir gedacht – echt cool, aber schwer was Neues aus dem Thema herauszuholen. Abends auf dem Sofa kam dann aber – wie so oft – doch eine Idee, die mir gleich gefallen hat. Es folgte eine Recherche über Schizophrenie, die ein bisschen geholfen hat. Innerhalb von zwei Tagen war Emmas Clown dann geschrieben und ich zufrieden. Eine gute Horrorgeschichte erkennt man, meiner Meinung nach, daran, dass man sie zwei Wochen später liest und geschockt von den eigenen Ideen ist.“
Inspiration kann aber auch von gänzlich anderer Seite kommen. Hans-Jürgen Hetterling meint dazu: „Dass mich das Thema „Böse Clowns“ ganz besonders angesprochen hat, hängt sicher mit meiner Begeisterung für Zirkus, Jahrmärkte und Maskenbräuche zusammen. Dort, in einem Setting, das Soziologen als „Verkehrte Welt“ bezeichnen, sind Direkterfahrungen des Fantastischen, des Grotesken, gar des Mythisch-Numinosen möglich, und vordergründiger Spaß und tiefer Schrecken liegen so eng beieinander, wie eine Maske das wahre Gesicht ihres Trägers verhüllt. Clowns sind für viele Menschen unheimlich, erst recht für Kinder sind die übertriebene Gestik, das schrille Lachen, das unberechenbare Verhalten des Spaßmachers eher schrecklich als witzig.“
Eine Comicfigur ist Auslöser bei Patrick Zimmerschied und seiner Geschichte „Der Narr“. „Ich fand Clowns nie besonders furchteinflößend. Aber der Joker aus den Batman-Comics und Filmen hat mich schon immer fasziniert. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die das zynische Element des Jokers stärker in der Clowns-Figur zum Vorschein bringt. Deshalb entwickelte ich sie als Sadisten, der sich über das Leid anderer lustig macht und keinerlei Vorstellung von Moral hat. Bei meiner Recherche über die Ursprünge des Clown-Konzepts stellte ich fest, dass die Idee des albernen Hofnarren sich aus der viel älteren Vorstellung des Narren als Symbol der Gotteslästerung, des Teufels und des Todes entwickelt hat und dies mit der Fastnacht verbunden ist.“
Der Joker war auch Mitinspiration für eine andere Horrorgeschichte namens „Clown-Syndrom“. Thomas Williams, der Berichterstatter dieser Clown-Epidemie, erklärt: „Als ich von der Ausschreibung las, habe ich überlegt, was für Filme und Geschichten es um böse Clowns gibt und wollte dem etwas Neues hinzufügen. Ich dachte schnell an den Joker von Batman, der in den Comics oft Lachgas verwendet hat, um Menschen zu töten. Mir gefiel der Gedanke, dass Lachen gefährlich ist. Dass es sogar ansteckend sein könnte und die Idee zu ‚Clown-Syndrom’ war schnell geboren. Als Fan von Filmen wie ‚28 Days later’ schwebte mir eine etwas andere Version des Films vor. Statt Wahnsinniger sollte es um wahnsinnige Clowns gehen, die Menschen mit ihren Witzen infizieren.“
Oder bei Nora Spiegel. „Mein Beitrag ‚Die Klaue’ ist inspiriert von einem einfachen Foto in schwarz-weiß: Eine Gruppe von Zirkusartisten um die Jahrhundertwende, posierend vor einem alten Zirkuswagen. Es sind ernste Gesichter – wie es auf den Fotografien dieser Zeit üblich war – deren unheimlicher Effekt von der Farblosigkeit des Bilds nur verstärkt wird. Die ausgemergelten Gestalten lassen uns ahnen, dass diese Clowns hungrig sind, sehr hungrig.“
Auch Florian Krenn ließ sich von verschiedenen Ereignissen inspirieren: „Die Ambivalenz des Clowns stellt sich am deutlichsten und tragischsten in der Person des US-amerikanischen Serienmörders John Wayne Gacy dar. Zum einen Spaßmacher Pogo der Clown, der Kinder unterhält, zum anderen brutale Bestie, die mordet, foltert und vergewaltigt.
Die Idee zu meiner Kurzgeschichte ‚Wer zuletzt lacht’ ist mir auf einer langen Zugfahrt gekommen, wozu mich die in den letzten Jahren im Internet recht beliebten Killerclown-Pranks (Streich mit versteckter Kamera). Dazu ein bisschen Gacy und Pennywise… nun ja, lesen Sie selbst.“
Um ein Musikvideo von Deutschlands Horror-Punk-Band Nr.1 als Auslöser handelte es sich bei Sonja Schirdewan: „Auf die Idee mit dieser Geschichte bin ich gekommen, als ich während der Suche nach Inspiration für die ‚Böse Clowns‘ Geschichte nebenbei auf YouTube ein Video einer meiner Lieblingsbands angesehen habe, ‚Puppet on a String’ von ‚The Other’. Hat erst mal überhaupt nichts mit Clowns zu tun, aber die Bandmitglieder laufen in dem Video als Marionetten herum und tun – mehr oder weniger freiwillig – böse Dinge. Und dann ist mir quasi schon die ganze Geschichte durch den Kopf geschossen.“
Oder gänzlich unerwartete literarische Quellen wie bei M. W. Ludwig: „Böse Clowns im Horror lassen natürlich sofort an Kings Pennywise oder den verstörend realen John Wayne Gacy denken.
Meine Geschichte geht außerdem auf das Märchen von Pinocchio zurück, wo auch Kinder in einem traumhaften Park verführt werden, um sie gefangen zu nehmen. Zudem gibt es auch dort schon den Antihelden. Wenn auch unter anderen Bedingungen. Der Deal mit dem Teufel schließlich ist so alt wie der Glaube an das Böse.“
Den geneigten Leser erwartet also eine ebenso vielschichtige, wie vielversprechende Horror-Anthologie, die ihr Thema so vielfältig variiert, das alle „Coulrophobiker“ genügend Stoff für Nächte voller Albträume finden werden.
Zum Abschluss hält Naemi Berner, die Autorin unserer Siegergeschichte, noch einen Rat für die Leser parat: „Sollte dir ein Clown, der zufällig in einem Gully sitzt, einen bunten Luftballon anbieten, renn einfach weg.“
In diesem Sinne … angenehmes Gruseln.
Detlef Klewer